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Storys sind mehr als drei Akte - Die missverstandene Storytelling-Methode

Werbevideos sind eine enorm wichtige Facette im Marketing-Mix. Und Storytelling ist für einen guten Imagefilm dafür unerlässlich. Oder doch nicht? Wie sich Agenturen ungeniert Schlagworten und Prinzipien des Story-Designs bedienen, um sich als innovativ und kompetent darzustellen, ohne diese Prinzipien tatsächlich umzusetzen.

Ich habe genug von Storytelling in Corporate Filmen. Ein Aufschrei sämtlicher Filmagenturen und Unternehmen mit Ambition im Bereich Image ist bei dieser Aussage vorprogrammiert. Schließlich werben nahezu alle Agenturen mit dieser wertvollen Methode Videos zu produzieren. Unternehmen geben für ihren Film mit dieser neuen Marketing-Methode regelmäßig deutlich mehr aus als für den 30 sekündigen Aftermovie der Jahreshauptversammlung. Könnte das alles nur Schwindel und Betrug sein?

Dazu müssen wir zuerst verstehen, was mit dem Begriff Storytelling gemeint ist. Auf Deutsch übersetzt bedeutet es Geschichten zu erzählen, wobei der Begriff Geschichte hier als Erzählung oder Narrative zu verstehen ist. Die Minimaldefinition einer Narrative ist aber nicht das, womit die Marketingagenturen dieser Welt werben. Denn diese lautet nach Wikipedia: „Jemand erzählt jemand anderem, was passiert ist.“ Damit wirbt selbstverständlich keiner. Ein Video mit diesem Anspruch würde nämlich so aussehen:
Ein Mann geht zum sehr guten Autohersteller und kauft sich den neuen sehr guten Wagen. Cut, Black Screen, Logo.
Nicht sonderlich mitreißend. Storytelling bedeutet im Sinne der Marketing-Branche deutlich mehr. Es geht um Helden, die auf eine Reise geschickt werden, um Drei-Akt-Strukturen, die den Film erzählerisch sinnvoll gliedern. Nicht zu vergessen das strategisch gut platzierte auslösende Ereignis und der einnehmende Höhepunkt des Films. Spannung statt Slogan.

Und es könnte so schön sein. Doch tatsächlich sehen die meisten Corporate Filmproduktionen immer noch so aus:

What is Blockchain?

Dieser Film wird übrigens als positives Beispiel für die Anwendung der Storytelling-Methode aufgeführt. Und ja, der Rest dieses Blogs könnte eine detaillierte Analyse der beabsichtigten und umgesetzten Akt-Struktur des Videos sein. Zudem könnte das auslösende Ereignis, das hier durch den Sprecher vermittelt wird, näher beleuchtet werden. Und am Ende erscheint dieser Film den ein oder anderen vielleicht gar nicht mehr so langweilig wie er in Wahrheit ist. Akt-Strukturen, Höhepunkt, Held, usw. sind alles nur Werkzeuge, nicht mehr. Werkzeuge, um Ordnung und Verständnis in die Welt des Storytellings zu bringen. Doch dabei wird regelmäßig die Essenz der Geschichte übersehen, welche tiefer liegt als die eben genannten Schlagwörter.
Eine Story ist dazu da, um Menschen Klarheit über das Leben zu geben.

Auch wenn es manchmal so scheint, als wollten wir Storys konsumieren, um uns nach einem harten Tag abzulenken und dem Leben ein Stück weit zu entfliehen. In Wahrheit suchen wir das Leben, wenn wir uns einen Film ansehen oder ein Buch lesen.

Die großen Filme geben uns diese Klarheit. Wir können zur Vereinfachung Spielfilme wie „Der Herr Der Ringe“ betrachten. Es mag den Anschein haben, viele Menschen lieben den Film, wegen seiner großartig inszenierten Fantasy-Schlachten. Und ja, die sind wirklich herausragend. Doch deutlich weniger Menschen würden sich drei Stunden vom Helms Klamm Gemetzel ohne Bezug zu Aragorn und seinen Gefährten anschauen. Diese Filme werden geliebt, weil sie uns eindrucksvoll vermitteln, was wir mit innerer Stärke und Freundschaft erreichen können. Wenn es nach J. R. R. Tolkien geht, können wir so nämlich die größten Gefahren der Welt überwinden. Wenn Frodo am Abgrund des Schicksalsberges hängt und die Macht des Rings und sein eigenes Versagen an Schwersten wiegen und er trotzdem nach Sams Hand greift verstehen wir. Wir begreifen, dass in unseren Leben Mut und ein guter Freund genug ist, um die dunkelsten Stunden und die gefährlichsten Wege zu überstehen. Wir brauchen keinen stählernen Körperbau und kein umfassendes Wissen. Frodos Mut und Sams beherzte Hilfe sind genug, um die finsterste Macht Mittelerdes zu besiegen.

Frodo kämpft gegen die Macht des Ringes an und scheitert. Er überwindet dessen dunklen Einfluss und kann sich dank Sams Hilfe retten.

Wie erreicht man diese Einsichten in das Leben? Die grundsätzliche Voraussetzung dafür ist ein großes Marketing Unwort: Konflikt. Ein Schaudern geht durch die Marketing-Manager dieser Welt. Aber im Leben und guten Geschichten ist Konflikt unverzichtbar. Denn Erwartungen, die erfüllt werden, zeigen uns nichts über das Leben. Ein Beispiel: Figur A will das Auto in Figur Bs Werkstatt reparieren lassen. Figur A hat Erfolg! Soweit so gut. Wir notieren: Das Leben ist immer so, wie wir denken, dass es wird. Ein fataler Fehlschluss. Wir alle wissen, dass im Leben nichts so kommt, wie man denkt. Wir alle erfahren es in unserem Leben: Eine Person erscheint uns anfangs nett und hilfsbereit, doch nach einiger Zeit erkennen wir Kälte und Hass in ihr. Warum? Eine Story hilft uns, das zu verstehen. Eine Story zeigt uns Menschen, deren Erwartungen nicht erfüllt werden. Wie sie daraufhin handeln, lässt uns verstehen, wie und warum ein Mensch, der beispielsweise anfangs nett war, plötzlich kalt wird – und warum ein Mensch, den wir vielleicht für schwach hielten, uns plötzlich mit einer überragenden Stärke imponieren kann. Deshalb brauchen wir Konflikt in Geschichten. Und genau hier findet sich das Problem der Storytelling-Methode im Marketing.

Denn münzen wir das auf den Corporate Film, muss es also Probleme und Herausforderungen in meinen schönen Unternehmensfilm geben. Konflikt erzeugen, der anschließend durch die Marke, das Produkt oder die Dienstleistung des Unternehmens gelöst wird. Möglich, doch wie groß wird der Konflikt und damit die Herausforderung? Zu wenig und es hat nicht genug Wirkung. Zu viel Konflikt und mein Unternehmen leidet noch in der Außenwirkung! Die Resultate sind schwammige Filme, die viel sein wollen, aber nicht viel davon auch wirklich darstellen. Ihnen fehlt Mut oder Klarheit. Und dann auch noch das ganze Geld, das in die Konzeption dafür geflossen ist.

Pepsi hat bereits erlebt, wie problematisch Konflikte im Corporate Film sein können, wenn sie nicht gut umgesetzt und eingesetzt werden. Pepsis Werbefilm gibt uns keine Klarheit und unterhält uns als Folge kein bisschen. Die Marke ist hier ein universeller, aber sinnloser und erzwungener Problemlöser, den kein Zuschauer akzeptiert.  Hier wurde in der Konzeption in die Storytelling Falle getappt. Eine konfliktgetriebene Geschichte wurde hier als Allheilmittel für virales Video-Marketing gesehen. Das Publikum quittierte diesen Versuch mit Abneigung und Shitstorms.

Pepsi Commercial Starring Kendal Jenner

Das muss nicht sein. Wenn wir uns von dem Gedanken lösen, dass Corporate Filme Storytelling zwingend brauchen, um erfolgreich zu sein und positiv wahrgenommen zu werden, haben die anstehenden Filmproduktionen überraschenderweise mehr Platz zur Entfaltung. Für einen Konflikt benötigt man mindestens einen Wunsch und eine diesem Wunsch exakt entgegen gerichtete antagonistische Kraft. Diese müssen erst einmal eingeführt und dargestellt werden. Anschließend muss sich damit noch auseinandergesetzt werden. Das braucht Zeit. Diese Zeit hat aber nicht jeder Film. Verlangt das Projekt nach Informationen über die Unternehmensgeschichte, Produktionsabläufe und Interviews mit dem Vorstand – alles natürlich in circa eine Minute verpackt – wird es kaum möglich sein, gelungenes Storytelling noch zusätzlich zu integrieren. Da setzt man lieber auf hochwertige Aufnahmen und eine verständliche und logische Struktur der Informationen des Films. Vor allem starke Cinematics werden unterschätzt. Sie können emotional aufgeladen sein, ganz ohne Konflikt. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Nike „The Chance“ Werbespot:

Nike „The Chance“

Ein herausragender Film, auch wenn es kein Problem gibt, das ein Held hier überwinden muss. Es ist eine authentische Erzählung über Antrieb und wie er sich positiv auf das persönliche Leben auswirken kann. Storytelling trifft hier nur in der Minimaldefinition zu. In diesem Fall erzählt Spike Lee dem Zuschauer, was Antrieb für ihn bedeutet. Es wird keine Figur etabliert, die Herausforderungen gegenübersteht, diese anfangs nicht überwinden kann, sich durch fortschreitende Handlungen verändert und so ihr Ziel letztendlich doch erreicht. Und das ist komplett in Ordnung so. Der Film benötigt keinen Konflikt, um uns emotional zu berühren. Und genau hier liegt die Aufgabe eines Regisseurs. Dem Corporate Film eine kohärente Narrative zu vermitteln, ohne unnötige Methoden oder Prinzipien in einen Film zu zwängen. Ein guter Regisseur findet in enger Absprache mit dem Kunden genau die richtige Filmsprache für das Projekt.

Storytelling wird viel zu häufig als Marketing-Begriff verwendet und mit allen möglichen Begriffen und Prinzipien des Story-Designs überflutet, die es in Wahrheit selten bis nie in Corporate Filmproduktionen braucht. Die Storytelling-Methode ist zwar keine Lüge, aber für Corporate Movies erst recht kein Must-Have. Es ist schlichtweg ein Tool, das Unternehmensvideos eine weitere Facette verleihen kann. Deshalb sollten sich Unternehmen vor Agenturen in Acht nehmen, die Storytelling als Allheilmittel für Video-Marketing preisen. Eine genaue Absprache mit Zieldefinition zu Beginn sollte helfen, um einen genaueren Einblick in die Arbeitsweise der Agenturen zu erhalten und so rechtzeitig den Unterschied zwischen wirklich begeisterten Kreativen und „smarten“ Marketingexperten zu erkennen.

Quellen:

Frodo kämpft: https://www.intellectualtakeout.org/sites/ito/files/frodo_0.jpg
Frodo hängt am Abgrund: https://i.ytimg.com/vi/hO5V79XsiaM/maxresdefault.jpg
Frodo ergreift Sams Hand: https://www.youtube.com/watch?v=FyzE9thQIPo
Front Bild: https://static2.srcdn.com/wordpress/wp-content/uploads/2019/08/The-Lord-Of-The-Rings-10-Hilarious-Frodo-Sam-Logic-Memes-That-Are-Too-Funny-featured-image.jpg