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Wie Ihnen ein Horrorfilm dabei hilft Ihre Firma besser darzustellen – Die unberechtigte Angst vor Originalität in Imagefilmen

Originalität: „[auffällige] auf bestimmten schöpferischen Einfällen, eigenständigen Gedanken o. Ä. beruhende Besonderheit; einmalige Note“

Die Definition von Originalität klingt in der Theorie großartig. Ein Imagefilm mit einer „einmaligen Note“, auf „schöpferischen Einfälle beruhend“, ist der Traum eines jeden Unternehmers. Die Markenbekanntheit gehört schließlich schon länger zu den Schlüsselfaktoren erfolgreicher Unternehmen – Coca-Cola lässt grüßen.  Hört man schließlich die „besonderen“ Pitches der Agenturen, kommt häufig ein Moment großer Unsicherheit. Jede Idee birgt Gefahren, missverstanden zu werden, man verschreckt den Kunden und hinterlässt vielleicht sogar noch einen Schaden am eigenen Markenkern. Diese Gedanken sind nicht nur beängstigend, sondern auch lähmend; vielleicht war die Idee mit dem Imagefilm doch keine gute Idee oder schlimmer noch, vielleicht setzen wir doch eher auf die bewährten Mittel: Ein Sprecher erzählt die Unternehmensgeschichte, während in einer Zeitleiste historische und zeitgemäße Fotos gezeigt werden. Dazu noch die Vorstellung der angebotenen Leistungen meines Unternehmens und schon ist es geschafft. Ein Imagefilm, hoffnungslos verloren in den Tiefen der YouTube Algorithmen. Geschätzte Aufrufzahlen: 280.

Dabei ist die Angst vor einer originellen Filmproduktion durchaus berechtigt. Zuschauer haben Erwartungen an jeden Film den sie sehen, ob Spiel- oder Corporate Film. Das Problem eines jeden Filmemachers ist nun, gleichzeitig diese gelernten Erwartungen zu erfüllen und den Film über die Erwartungen hinaus, zu einzigartigen und unerwarteten Momenten zu führen. Jedoch herrscht oft Unklarheit über das Verhältnis, welches dafür zwischen klassischen und originellen Momenten herrschen muss. An dem Beispiel des Oscar-prämierten Horrorfilms „Get Out“ von 2017 lässt sich zeigen, wie effizient die Erwartungen der Zuschauer zufriedengestellt werden können und wie viel Zeit dadurch für originelle Elemente bleibt:

„Get Out“ Opening Scene

„Get Out“ ist ein ungewöhnlicher Horrorfilm. Das Genre ist dem Zuschauer durch Plakate, Trailer und sonstiger Bewerbungen im Vorhinein durchaus bekannt und weckt dahingehend gewisse Erwartungen. Ignorieren wir die Eröffnungsszene fürs Erste, bemerken wir, dass der Film langsam und seicht beginnt. Nicht unüblich für Horrorfilme, doch bis circa Seite 40 des Screenplays gibt es keine einzige wirkliche Horrorszene. Erst das letzte Drittel des 104 Minuten langen Films bekommt die Intensität eines „richtigen“ Horrorfilms. Das liegt unter anderem daran, dass der Film auf originelle Elemente setzt, die sich in andere Genres wie Thriller und  vor allem Gesellschaftsdrama einordnen lassen. Das übergeordnete Genre bleibt jedoch Horror. Ohne die Eröffnungsszene beginnt der Film deutlich zu langsam und zieht erst sehr spät an. Der Zuschauer versucht jedoch derweil den Film in die Sparte Horrorfilm einzuordnen – unmöglich. Der Film gibt schlichtweg zu wenig Material dafür. Die Folge: der Zuschauer fühlt sich entfremdet vom Film und dessen Genre – die Folge ist Enttäuschung. Dass das letzte Drittel des Films das Publikum dann noch zurückgewinnt, halte ich für unwahrscheinlich.

Wie wichtig die Beherrschung des Genres ist, zeigt der Film, oder eher das Marketing von „Mike’s Murder“. Während der Film selbst eigentlich ein origineller Thriller ist, war das Publikum durch Aspekte des Trailers und auch allein schon aufgrund des Filmtitels auf einen Krimi eingestellt. Zu einem Krimi gehört jedoch bekanntlich ein „Mord, den es aufzulösen gilt“. Eine wichtige Konvention, die der Film über sechzig Minuten lang nicht einhält. Das Publikum war folgerichtig verwirrt und enttäuscht.

Die Eröffnungsszene von „Get Out“ jedoch gibt dem Zuschauer alles, was er sich erhofft. Eine intensive, spannende und erschreckende Szene, die dem Publikum vor allem eins vermittelt: Der Film ist nichts für leichte Gemüter, hier beginnt der Horror. In der Theorie des Story-Designs ist das die Erfüllung der Erwartungen von Genre-Konventionen durch das Ausnutzen des schematischen Wissens des Publikums über das Genre.

Genre-Konventionen sind Strukturen und Momente in einem Filmgenre, die häufig – fast immer – vorkommen. Eine Genre-Konvention der Romanze ist beispielsweise „er trifft sie“ bzw. „sie trifft ihn“. Wie, wo, wann und warum ist nicht definiert. Das unterscheidet Konventionen maßgeblich von Klischees. Ein Klischee der Romanze ist zum Beispiel „Er trifft sie zufällig in einer Single-Bar, sie kann ihn anfangs nicht ausstehen, lässt sich aber zu einem Date überreden“. Die Konvention „er trifft sie“ ist aber sehr wandelbar. Schauplatz, Zeitpunkt in der Story und Ablauf sind nicht definiert. Eine Konvention des Horrorfilms, die in der Eröffnungsszene von „Get Out“ erfüllt wird, ist, dass „böse und unnatürliche Elemente, die in unserer Gesellschaft existieren oder existieren könnten, erforscht werden“. In der vorliegenden Szene ist das der immer noch vorhandene Rassismus in unserer Gesellschaft. Das schematische Wissen des Publikums über das Film-Genre bedeutet, dass der Zuschauer gewisse Elemente des framings einer Szene (Ort, Stimmung, Charaktere, Konflikte,…) wahrnimmt und sie bewusst oder unbewusst einem Genre zuordnet. Die dunkle Straße, das isolierte, verlorene Individuum, die Verfolgung durch eine unbekannte Quelle, sind klassische framing Elemente einer Horrorszene.

Alle drei Filme (Get Out, Saw, The Nun) besitzen in diesen Szenen ein ähnliches framing in Bezug auf Stimmung und Charaktere

Bei „Get Out“ zahlt das Verhältnis zwischen unerwarteten Szenen und klassischem Horror gemessen an der Laufzeit sehr auf das Konto der „einmaligen Note“ ein. Doch reicht dem Film eine zwei-minütige Horrorszene aus, um das Publikum trotzdem nicht zu enttäuschen und offen für die kommenden originellen Elemente des Films zu halten.

Wie können wir dieses Wissen für den Aufbau eines Imagefilms nutzen?

Durch Konventionen und dem schematischen Wissen des Publikums können einfache Bestandteile eines Imagefilms genutzt werden, damit das Publikum versteht, dass es einen Imagefilm sieht und dennoch von den unerwarteten, originellen Elementen vereinnahmt werden kann. Eine Konvention des Imagefilms ist das Voice-Over. Es ist kein Klischee. Das Voice-Over wäre dann ein Klischee, wenn der Text eine statische Informationsübermittlung von Daten ist, nicht jedoch, dass ein Voice-Over überhaupt vorhanden ist. Der Zuschauer spürt durch den Voice-Over das übergeordnete Ziel des Films. Nämlich ihn eine Leistung oder einen Markenkern darzustellen. Gleichzeitig kann sich jetzt der Inhalt – nahezu uneingeschränkt – auf originelle Elemente fokussieren, da der Zuschauer sich bereits aufgehoben im Film führt. Die Aufgabe verschiebt sich jetzt dahingehend, den Zuschauer durch unerwartete und originelle Elemente zu überraschen, zu beeindrucken und schließlich zu überzeugen. Nur wenige Imagefilme gehen konsequent diesen Weg. Doch einige überragende Beispiele, wie der Budweiser Superbowl Commercial von 2014 stechen als leuchtende Beispiele aus dem Sumpf generischer Corporate Film Produktionen:

Budweiser „Best Buds“ Commercial

Story-Design ist kein Hexenwerk. Es ist nicht nur Kunst, sondern vor allem auch Handwerk. Ein greifbares, konkretes Handwerk, das uns durch viele erprobte Prinzipien dabei helfen kann, unseren Filmen auch systematisch mehr Wirkung zu verleihen. Wenn wir das verstehen, werden viele Konzepte deutlich greifbarer und klarer für uns und der nächste Imagefilm viel wahrscheinlicher ein Erfolg und kein trauriges Buzzword-Massaker.

Quellen:

Get Out Bildquelle: https://i.ytimg.com/vi/d0nkLTAUfyA/maxresdefault.jpg
Saw I Bildquelle: https://forum.sketchfab.com/uploads/db4890/original/2X/a/a0122f3bac657290543e9c6ef057810ab978a3d1.png
The Nun Bildquelle: https://pmcvariety.files.wordpress.com/2018/09/the-nun-movie-2.jpg?w=1000